( frais d'adjudication compris)
Nadja. 1919.
Mit einer Foto-Expertise von Dr. Manfred Reuther, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
PROVENIENZ: Privatsammlung Dr. Ernst Rathenau, Berlin.
AUSSTELLUNG: Neuere Deutsche Kunst aus Berliner Privatbesitz, National-Galerie, Berlin 1928, Kat.Nr. 150.
LITERATUR: Suchanzeige aufgrund des Diebstahls in: Weltkunst, Jg. 49, Nr. 21 S. 2828 (mit Abb.).
ZUSTAND: In guter Erhaltung. Leinwand links beschnitten und knapp an den Keilrahmen montiert.
"Nadja" – Die bewegte Historie eines Bildes
1919 Emil Nolde malt "Nadja". Nolde selbst gibt im Verzeichnis seiner Gemälde von 1930 auf Seite 30 irrtümlich "Dr. Walther Rathenau,
Berlin" als Erstbesitzer an. Emil Nolde
Nolde malt das eindrucksvolle Frauenporträt „Nadja“ in einem seiner produktivsten und wichtigsten Schaffensjahre, in dem einige seiner bedeutendsten Werke, darunter viele Porträts, entstehen. Seine Porträts, besonders die um 1919 gemalten, sind mit ihrem übersteigerten Ausdruck in der Folge jener großformatigen Aquarelle zu sehen, die er während seiner Südseereise schuf. Nolde findet zu einem großzügig-freien Stil, in dem das Exotische mit dem Expressiven eine formale Einheit bildet. In unserem Falle ist es die ausdrucksstarke Farbigkeit, die in ihrer Wirkung von einer klaren Bildkomposition unterstützt wird. Das Ausschnitthafte der Komposition unterstreicht eine Dynamik, die durch die expressive Farbe vorgegeben ist. Ein pastoser Farbauftrag, der sich in inselhaften Farbflächen konzentriert entfalten kann, prägt auf unnachahmliche Weise den Ausdruck dieses Porträts. In seiner Konzentration auf wenige und doch aussagekräftige Komponenten darf unser Bildnis im umfangreichen Schaffen des Malers als eine besondere Meisterleistung seiner Porträtkunst hervorgehoben und entsprechend gewürdigt werden.
Zu Person der Dargestellten ist auch in den Tagebüchern Noldes nichts vermerkt. Sie stammt möglicherweise aus dem Künstlermilieu Berlins, dem ursprünglich auch Emil Noldes Frau Ada verbunden war.
1928 lässt sich Nolde in Seebüll nieder. Von den Nationalsozialisten verfemt, malt Nolde ab 1938 seine "Ungemalten Bilder", viele hundert kleine Aquarelle, die er nach 1945 in Ölbildern wieder aufgreift. Der Maler verstirbt am 13. April 1956 in Seebüll. [KD]
Bruch mit der Tradition – Das Porträt in der
Modernen Kunst
In der Porträtmalerei der klassichen Moderne werden, parallel zur
stilistischen Vielfalt, ganz unterschiedliche Ansätze verfolgt. Noldes
Porträt "Nadja" in seiner radikalen, ganz auf das Wesentliche reduzier-
ten Sichtweise verdeutlicht den Bruch mit der traditionellen Porträt-
malerei. Nolde suchte in Nadja nicht das Porträthafte. Bei ihm über-
nimmt die Farbe eine bildbestimmende Funktion und wird zum
Träger des Ausdrucks. So gegensätzliche Maler wie Henri Matisse oder
Alexej von Jawlensky lassen sich hier ebenso nennen wie die Maler
der Dresdner Künstlergemeinschaft "Die Brücke", der auch Nolde
zeitweise angehört. Im Gegensatz zu Nolde geht es den "Brücke" -
Malern um eine überindividuelle Darstellung des Menschen in sei-
ner Lebenswelt und weniger um eine psychologische Ausdeutung.
Emil Noldes "Nadja" erscheint in diesem Kontext neu und ungewöhn-
lich: Die expressiven Farben führen ein Eigenleben und beherrschen
das Bild, und gleichzeitig gelingt es dem Maler, den Betrachter in
einen subtilen psychologischen Dialog zu verwickeln. "Nadja" – Erotisches Spiel mit dem Betrachter Emil Nolde beschäftigt sich in seiner Malerei immer wieder mit der
erotischen Anziehungskraft der Frau. Selten jedoch stellt er das Thema
so vielschichtig wie in dem vorliegenden Werk dar. "Nadja" ist vorder-
gründig nur ganz sich selbst zugewandt und sendet doch gleichzeitig
dem Betrachter vielfältige und uneindeutige Signale. Die leuchtend
roten und leicht geöffneten Lippen, die großen Augen, die geröteten
Wangen, die Andeutung des Halses und der nackten Schulter und nicht
zuletzt das geöffnete lange Haar sind Versatzstücke erotischer Ver-
sprechungen, die jedoch nicht eingelöst werden. Vielmehr wendet
sich "Nadja" in ihrer Schönheit vom Betrachter ab, schaut nach innen
und entzieht sich dem Gegenüber. Diese Spannung von Nähe und
Distanz, von Ansprache und Abwendung, macht das Porträt "Nadja"
zu einem ganz besonderen Beispiel für die Porträtkunst Emil Noldes.
Öl auf Leinwand.
Urban 830. Unten mittig signiert. Auf dem Keilrahmen signiert und betitelt "Nadja". 40 x 25 cm ( 15,7 x 9,8 in)
In Noldes eigenem Gemäldeverzeichnis von 1930 verzeichnet "1919 Nadja".
Ab 1977/79 verschollen.
2006 nach Wiederentdeckung Restitution an die Erben Dr. Ernst Rathenaus.
Zur Person Dr. Ernst Rathenaus als Kunstsammler vgl.: Friedemann Berger, in: Die Schaffenden, Leipzig und Weimar 1984, S. 30.
Seit den 1920er Jahren "Nadja" befindet sich im Eigentum von
Dr. Ernst Rathenau, renommierter Kunstverleger und Sammler, der
bis 1938 in Berlin-Charlottenburg lebt.
1928 "Nadja" wird zum ersten und einzigen Mal öffentlich ausgestellt:
In der Ausstellung der Berliner National-Galerie "Neuere Deutsche
Kunst aus Berliner Privatbesitz".Als Eigentümer ist "Dr. Ernst Rathenau,
Berlin-Charlottenburg" angegeben.
1938–1944 Dr. Rathenau muss in die USA emigrieren und "Nadja"
in Berlin zurücklassen. Seine Sekretärin rettet das Bild vor dem Zugriff der Nationalsozialisten und deponiert es in einem Safe des Bankhauses Merck Fink & Co in Berlin. "Nadja" übersteht wunderbarerweise die Bombardierung der Stadt und entgeht auch der Konfiszie-
rung durch die Rote Armee.
Nach 1945 Dr. Rathenau kehrt öfter nach Deutschland zurück und
lebt dann in Bad Nauheim u.a. in Hilberts Parkhotel, wo er am
24.01.1986 stirbt.
"Nadja" wird bei einer Speditionsfirma in Freiburg im Breisgau eingelagert.
Zwischen Oktober 1977 und September 1979 kommt "Nadja"
aus einer Lagerkabine der Speditionsfirma auf ungeklärte Weise abhanden.
1979 Nachdem er den Verlust bemerkt, schaltet Dr. Rathenau eine
Suchanzeige im Fachblatt "Weltkunst".
1990 Prof. Dr. Martin Urban erstellt das Werkverzeichnis der Gemälde
Emil Noldes und nimmt "Nadja" unter der Nr. 830 auf und gibt als
Verbleib "unbekannt" an.
Sommer 2006 Ein ungenannter Kunstsammler entdeckt "Nadja" auf
dem Dachboden nach dem Tod seiner Tochter, die wohl eine Rolle beim
Verschwinden der Arbeit gespielt hatte. Er übergibt das Porträt "Nadja"
über einen Mittelsmann der Polizei. Zwei Ermittler des LKA Baden-
Württemberg lassen die Echtheit des Gemäldes von Dr. Manfred
Reuther, Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, bestätigen.
April 2007 Ketterer Kunst wird vom Beauftragten der Erben von
Dr. Ernst Rathenau mit der Versteigerung von "Nadja" beauftragt.
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